Erinnerungsblitzlichter an die Hamburger Kunstszene Ende der 1970er / Anfang der 1980er-Jahre
Die Künstlerin Bettina Sefkow im Gespräch mit Nora Sdun (September 2021, Hamburg)
Die Plätze und Orte, an denen sich die Kunstszene Ende der 1970er traf, waren wirklich off. Es gab keine Organisationsstruktur der Szene und keine Behörde gab für irgendwas, was wir machten, Fördergelder.
Die Kaffeestube war ein Kollektiv-Kaffee und der Anlass für mich nach Hamburg zu kommen. Die suchten jemanden, der was mit Bildern macht und gleichzeitig konnte ich im Kaffee jobben. Ich war eh genervt von Berlin, denn obwohl 1000 Leute da rumliefen und ebenso viele Projekte entwickelt wurden, kamen die Projekte nie zustande.
Nun, ich habe dann in der Kaffeestube ein bisschen Aktionismus betrieben. Gegenüber in den Grindelhochhäusern lauerte der Verfassungsschutz und beobachtete das Kaffee, klar, das waren die späten 70er Jahre (RAF, Rasterfahndung etc). Ich hab‘ dann die Fingerabdrücke von allen unseren Kaffeebesuchern auf Folie kopiert und ins Fenster zur Straße gehängt, damit die vom Verfassungsschutz ihre Daten bekommen, so à la ihr braucht gar nicht rüberkommen, nervt uns nicht.
Wir haben dort auch einen Photomaton Wettbewerb gemacht (Photomaton ist ein öffentlicher Fotoapparat, der Passbilder ausspuckt, und den wir auf unterschiedlichste Weise versuchten, auszutricksen). Die Idee dafür war den RAF-Fahndungsplakaten abgeguckt, die damals überall hingen. Der erste Preis des Wettbewerbs war eine Polaroidkamera, das war damals technisch der allerneueste Schrei.
Die Kaffeestube war eine Schnittstelle zwischen Politik- und Kunstszene. Wir annoncierten etwa an der Tür: Heute bleibt der Laden dicht, wir sind in Brokdorf. Oder am 2. Juni wurde in Erinnerung an Benno Ohnesorg nur Wasser ausgeschenkt. Politische Kunst des Namens gab es damals nicht, das war nicht so scharf benennbar, das ist eher im Nachhinein so genannt und verschriftlicht worden, wie ja überhaupt die Erfindung des Kunstdiskurses später kam. Ende der 1970er, Anfang der 1980er war das alles eher Experiment oder Test – es ging darum, alles auszuprobieren.
Später, erst in den 1980ern als auch in der Hamburger Kunstszene Merve-Bücher gelesen wurden – Baudrillard, Semiotik etc. –, bekam man ein theoretisches Besteck in die Hand, um sich nachträglich zu erklären was man gemacht hatte.
Ich erinnere Deistler zunächst im Hochschulkontext, er war immer knurrig und ziemlich wichtigtuerisch, und bildete sich was darauf ein, mit Polke zusammenzuarbeiten. Als Polke weg war, haben wir die Klasse weiter gehalten und waren so etwas wie die erste freie Klasse. Deistler hat da aber nicht mitgemacht, das war dem zu popelig. Es gab Fraktionen, die sich auch intellektuell sehr wichtig nahmen. Aber der Habitus war noch viel wichtiger als das und Deistler war ganz vorne dabei mit der Nimbuspflege, zumindest kam das so bei mir an. Er trug, das nur nebenbei, immer Cowboystiefel.
Also, ich kam Ende der 1970er Jahre aus Berlin von der HdK nach Hamburg zur HFBK. Und Polke und Deistler hatten da was am Wickel mit Dias, es gab dauernd so elende Partys mit Dia-Projektionen. Ich wusste nicht, was das soll, aber ich war gekickt von dem Medium Dia, denn es war wirklich etwas Neues. (In Berlin haben damals alle nur gemalt, zumindest in der Hödicke Klasse, aus der ich kam).
Eine sprachliche Auffälligkeit der damaligen HFBK war, dass die Jungs nur beim Nachnamen und die Mädchen nur beim Vornamen angeredet wurden.
Michael Deistler war »der Deistler«, aber Rotraud Pape war »die Rodi«. Keiner hat sich darüber gewundert und keine hat sich darüber aufgeregt. Diese aus heutiger Sicht etwas schrägen Rollenverteilungen waren überall zu bemerken: Bei Autofahrten saßen Frauen natürlich hinten. So auch, als wir zu viert mit Deistler nach Düsseldorf zu einer Ausstellung fuhren. Da wurde der Kassettenrekorder angeschmissen, und die ganze Fahrt über wurde brüllender Punk gespielt. Ein Wahnsinnsgedröhne. Ich hatte auch eine Kassette dabei und versuchte sie nach vorne durchzureichen – aber es war nichts zu machen. Die Männer bestimmten die Musik.
Apropos Musik: Die Übergänge zwischen Kunst und Musik waren fließend und sehr viele Künstler*innen waren damals Mitglied in einer Band. Professionelle Musiker*innen fanden das meiste Musikzeug, was aus der Ecke der bildenden Kunst kam, total unerträglich. Das war aber egal, man ging auf die Konzerte, weil man dort Leute traf, nicht weil das so überragend gute Musik war, aber wissen, wer gerade was für Musik macht, wollte man natürlich auch.
Die Hamburger Kunsthochschule war damals klar medienorientiert, denn der Fachbereich visuelle Kommunikation war nicht den grafischen und angewandten Bereichen zugeordnet, sondern der freien Kunst zugeschlagen (Die Groß-Künstler der HFBK haben die Nase gerümpft – so ein Franz Erhard Walther wollte mit diesem Medien-Gefummel natürlich nichts zu tun haben, das war für ihn keine wahre Kunst.) Aber das Klima insgesamt war anders, als z. B. in Berlin.
Die Entdeckung, dass man Sachen auf Kopierer legen kann, dass man auch auf Folie kopieren kann, was man dann wiederum projizieren kann, dass man Bewegtgeschichten auch irgendwie mit Diaprojektoren hinbekommt usw.
Es wurde auf Häuserwände projiziert, genauer auf Brandmauern, – man darf nicht vergessen, dass die Stadt Hamburg in den 1970er, 1980er-Jahren noch völlig anders aussah, es gab Bombenlücken, also Brandmauern.
Ich sparte immer auf technische Geräte: eine Nikon Kamera, und eben auf diese Kodakkarussells, es musste ein Karussell sein, in Metall (damals gab es die aber sowieso nur in Metall), mit Timer natürlich. Die waren teuer, 1000DM, da musste man lange sparen.
Mit Adam Jankowski hat Deistler bei Hilka Nordhausen in der BuchHandlungWelt ein Wandbild gemacht. Sie hatten die Wand geteilt und jeder malte etwas, was der andere nicht sehen konnte. Erst zur Eröffnung wurde die Trennwand entfernt; das fand ich ganz gut: Wenn denn schon gemalt wird, dann wenigstens mit Enthüllungscharakter auch für die Maler. »Der eine weiß nicht, was der andere macht«, hieß die Ausstellung. Das war 1983.
Hilka Nordhausen bezeichnete die Orte Hochschule, Marktstraße und Grindelberg (wo die Kneipe Ganz lag, und auch das Abatonkino) als das »Bermudadreieck«. Nach den Ereignissen bei Hilka in der BuchHandlungWelt, waren natürlich alle, auch Deistler, in der Marktstube in der Marktstraße.
Diese Selbst-Fortifikation, als Teil der Habituspflege – heute heißt das »toxische Männlichkeit«, ein spruchstark verbrämtes Männerproblem, mit den Nazivätern –, kam damals vielleicht auch deshalb so seltsam verkappt rüber, weil das eben kein offen kommuniziertes biografisches Thema war.
Aber eben ganz klar ein Provokationsmittel, das war in der ganzen Szene absolut verbreitet: das Hakenkreuz, der Hitlergruß als Provokationsgeste. Auch die Hakenkreuze in Fußbodenmosaiken, die Deistler in Ägypten fotografierte, gehören zu dieser Sammlung provokativen Materials.
Man kann die manische Kästchenzeichnerei von Deistler auch als eine Selbstdisziplinierungsmaßnahme auffassen, also als starren, konzeptionellen Rahmen, den man sich selber setzt und der einen strukturiert. Eine Art Selbst-Rasterfahndung.
Seit 1968 lief immer eine politische Spur durch alle möglichen, auch künstlerischen Auseinandersetzungen. Gleichzeitig wollten die Künstler*innen aber nicht so viel mit den Politleuten zu tun haben, weil die so unästhetisch waren, und die linken Politleute argwöhnten, nicht ganz zu Unrecht, dass die Künstler*innen sich bei erst bester Gelegenheit vom Kapital korrumpieren lassen, weshalb die Politleute wiederum keine Fortschritte in der ästhetischen Bildung machten.
Irgendwann hatte Deistler aufgehört, zu saufen und seitdem sah ich ihn immer gehen, gehen, gehen, durch die ganze Stadt. Seitdem war er freundlicher und man konnte sich mit ihm unterhalten. Aber er war dann nicht mehr so oft auf Eröffnungen.