Christoph Schlingensief

1960 in Oberhausen – 2010 in Berlin

Aktion 18

Christoph Schlingensief, Aktion 18, 2002, Ausstellungsansicht, Courtesy of filmgalerie451 & Nachlass Christoph Schlingensief, © Christoph Schlingensief, Foto: Simon Vogel

Christoph Schlingensief untersuchte in seiner Arbeit politische und gesellschaftliche Verhältnisse anhand der unterschiedlichsten Medien und folgte damit dem Konzept des Gesamtkunstwerks: Musik, Film, Performance, Theater, Bühnenbild – alles griff künstlerisch ineinander, ergänzte und bedingte sich wechselseitig. Viele Aktionen Schlingensiefs changierten zwischen Kunst und Politik, fiktiver und realer Erzählung. Er lotete die Grenzen und Übergänge von Inszenierung und Politik aus. Besonders deutlich wurde dies während des Bundestagswahlkampfs im Sommer 2002.

Im Rahmen des Festivals Theater der Welt startete Christoph Schlingensief am 22. Juni 2002 die Aktion 18 und bereiste eine Woche lang das Rheinland und das Ruhrgebiet. Die Tour startete mit einem Stopp vor der Firma WEB/TEC des damaligen FDP-Landtagsabgeordneten Jürgen W. Möllemann in Düsseldorf. Ein Klavier wurde vor das Gebäude der Wirtschafts- und Exportberatungsgesellschaft geschleppt, und Schlingensief, umgeben von zahlreichen Medienvertreter*innen und misstrauisch beobachtet und gefilmt von mehreren Polizeibeamten, schüttete in einer Art schamanischem Akt DALLI-Waschpulver in das Klavier, stopfte FDP-Plakate hinein, verstreute einen großen Sack Daunenfedern, platzierte ein lebendiges Huhn auf dem Instrument, welches er – in direkter Anlehnung an die Aktion von Joseph Beuys im Jahr 1964 im Audimax der RWTH Aachen – mit einer Bohrmaschine malträtierte. Zum Schluss warf Schlingensief 7.000 Patronenhülsen in den Vorgarten der Firma und zündete eine Strohpuppe an, die bedeckt war mit einer Israelflagge, weiteren FDP-Plakaten und verdorbenem Fisch. Es folgte die Aufnahme der Personalien und eine Verhaftung. Schlingensief zielte mit seiner Aktion auf die offen antiisraelische Haltung Möllemanns ab. In seinem Tagebuch schreibt der Künstler: „Fallschirmspringende Gelegenheitsantisemiten und ihre PR-Piloten diffamieren je nach allgemeiner Stimmungslage im Sturzflug. Argumente werden unterdes zur Fahndung ausgeschrieben. Populismus und Politainment feiern ihren Endsieg über Inhalte.“

Christoph Schlingensief, Aktion 18, 2002, Ausstellungsansicht, Courtesy of filmgalerie451 & Nachlass Christoph Schlingensief, © Christoph Schlingensief, Foto: Simon Vogel

Mit der mehrfach geäußerten Parole „Tötet Möllemann!“ verunsicherte der Künstler das Publikum, und die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Volksverhetzung, stellte aber das Verfahren ein – ein wohlüberlegter Tabubruch, der eine heftige Debatte um die Kunstfreiheit auslöste. Die politisch motivierte Fluxus-Aktion, die Schlingensief, eindeutig durch Joseph Beuys inspiriert, wie ein Voodoo-Ritual vor dem Firmensitz Möllemanns aufführte, geißelte einen Politiker, den er dafür verantwortlich machte, dass in Deutschland israelische Fahnen verbrannt werden würden – künstlerische Agitation gegen Antisemitismus.

MK